Neue Erkenntnisse zu den Kosten des Offshore-Systems - jetzt auf deutsch

Seit Juli vergangenen Jahres sorgt eine Schätzung von TJN's Jim Henry weltweit für Schlagzeilen (im deutschen Kontext etwa SZ, Focus, Spiegel, taz). Dieser umfangreichen quantitativen Untersuchung des Schattenfinanzsystems zufolge haben Superreiche US$ 21-32 Billionen in Steueroasen versteckt. Dem Gemeinwesen entgeht dadurch weltweit eine Summe zwischen US$ 190 und 280 Milliarden an Steuereinnahmen - jährlich!

Die Studien können hier auf Deutsch heruntergeladen werden (pdf):

Neue Erkenntnisse zu den Kosten des Offshore-Bankings: Zentrale Punkte
Neue Erkenntnisse zum Preis des Offshore-Systems
Ungleichheit: Mehr als die Hälfte bleibt im Verborgenen

Die Originale samt aller Hintergrunddaten finden Sie hier.

Im folgenden werden die vier wichtigsten Befunde der Studie vorgestellt (siehe hier, pdf). Wer nicht alles lesen möchte, aber trotzdem einen Wahrheitsschock abbekommen möchte, der sollte den Punkt drei unten lesen, wo steht, warum 139 Entwicklungsländer entgegen landläufiger Meinungen insgesamt keine Schulden bei "uns" (den westlichen Industrienationen) haben, sondern stattdessen "unsere" Gläubiger sind und unseren Zweitwagen, iPhone und Espressovollautomaten mitfinanzieren - freilich ohne gefragt zu werden! Schwere Kost, dafür aber gut verdaulich aufbereitet.
Neue Erkenntnisse zu den Kosten des Offshore-Bankings

1. ‚Pirate’ Banking

Von 2008 bis 2012 erhielten alle Top-10-Banken*, die im weltweiten Private-Banking Geschäft tätig sind – die Geschäftsart, die es den reichsten Menschen der Welt ermöglicht, ihr Vermögen offshore zu parken und es vor den Behörden zu verstecken, um gültiges Recht zu umgehen – in erheblichem Ausmaß staatliche Kredite und Eigenkapitalinjektionen.

Damit haben die normalen Steuerzahler praktisch die weltweit größten Banken subventioniert, um sie über Wasser zu halten, obwohl sie vermögenden Kunden aktiv halfen, Steuerzahlungen massiv zu verringern, und eine Reihe anderer Straftaten verübten.

Viele der Marktführer im weltweiten ‚Pirate’-Banking-Geschäft sind auch bei anderen Geschäftsarten durch zweifelhaftes Geschäftsgebahren aufgefallen, von der Manipulation der Libor-Sätze über eine unverantwortliche Kreditvergabe und hochriskante Handelsgeschäfte, die zur Finanzkrise führten, bis zur Geldwäsche für die organisierte Kriminalität. Dieser Bericht macht deutlich, dass die weltweit größten Banken ihr in Verbindung zu Steuerparadiesen stehendes Pirate-Banking-Geschäft in den vergangenen Jahren sogar noch erheblich ausgeweitet haben.

Gibt es jetzt sogar so etwas wie „zu groß, um ehrlich zu sein?“

2. Ungleichheit

Der TJN-Bericht „Ungleichheit: Mehr als die Hälfte bleibt im Verborgenen“ (der den Bericht „Neue Erkenntnisse zu den Kosten des Offshore-Systems“ begleitet) verdeutlicht auch, dass alle gewöhnlichen Maßstäbe die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in jedem Land und in jeder Untersuchung zu niedrig ausweisen.

Das „unausgewiesene“ Finanzvermögen in zweistelliger Billionenhöhe, das in diesem Bericht identifiziert wird, übertrifft alle bislang produzierten Schätzungen und ist zu erheblichen Teilen in bisherigen Ungleichheitsuntersuchungen nicht berücksichtigt worden.

Die Auswirkungen, die die neuen Daten auf die Ungleichverteilung haben, ist erstaunlich. So lässt sich schätzen, dass weniger als 100 000 Menschen, also 0,001% der Weltbevölkerung, mehr als 30% des weltweiten Finanzvermögens kontrollieren.

Seit das Wachstum des Offshore-Bankings in den späten 1960er Jahren an Fahrt aufnahm, hat es bis zum Jahr 2010 im Verhältnis zur übrigen Weltwirtschaft an Bedeutung gewonnen. Auch deshalb ist zu vermuten, dass der Trend der zunehmenden Ungleichverteilung wahrscheinlich in allen Untersuchungen als zu niedrig ausgewiesen wurde.

3. Wer sind die wirklichen Schuldner?

Die vorliegende Analyse enthüllt, dass eine große Anzahl an Ländern, die traditionell als Schuldnerländer betrachtet werden, in Wirklichkeit einen Gläubigerstatus gegenüber der übrigen Welt besitzen. Für die hier untersuchte Kerngruppe von 139 Ländern mit zumeist niedrigen/mittleren Einkommen weisen herkömmliche Daten für Ende 2010 eine aggregierte Auslandsschuld von 4,1 Billionen $ aus. Berücksichtigt man jedoch ihre Devisenreserven und das Offshore-Finanzvermögen ihrer wohlhabendsten Bürger, dann dreht sich das Bild vollständig: dann weisen diese 139 Länder aggregierte Forderungen von minus 10,1 bis 13,1 Billionen US$ auf.

Mit anderen Worten, diese Länder sind beträchtliche Nettogläubiger gegenüber der übrigen Welt. Das eigentliche Problem hier ist, dass die Vermögenswerte dieser Länder von einer kleinen Gruppe vermögender Einzelpersonen gehalten werden, während ihre Schulden über ihre Regierungen von der normalen Bevölkerung geschultert werden müssen.

Es wird so dargestellt, als hätten diese Länder ein Schuldenproblem. Die Wirklichkeit sieht jedoch vollkommen anders aus: sie haben ein Problem mit dem versteckten Offshore-Vermögen.

Im Kampf gegen die Armut gibt es wohl kaum ein dringlicheres weltweites Problem, für das eine Lösung gefunden werden muss.

4. Das Übersehen fehlender Daten

Die führenden weltweiten multilateralen Finanzinstitutionen haben diesem „schwarzen Loch“ in der Weltwirtschaft bislang kaum Beachtung geschenkt. Es bleibt daher Organisationen wie TJN überlassen, die mühsame Tatsachenanalyse zu übernehmen, die diesem Bericht zu Grunde liegt.

Dies gilt, obwohl Institutionen wie die Weltbank, der IWF, die US Federal Reserve, die Bank of England oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nicht nur direkten Zugang zu analytischen Ressourcen, sondern auch zu einem Großteil der benötigten Rohdaten haben, mit deren Hilfe die Dimensionen dieses Problems besser quantifiziert werden könnten.

Warum übersehen sie diese Daten einfach?

Für die G20-Länder muss es eine wichtige Priorität sein, von diesen weltweiten öffentlichen Institutionen zu verlangen, dieses Thema ernsthafter zu untersuchen, mehr der privaten Daten zum OffshoreBanking, die ihnen bereits zur Verfügung stehen, öffentlich zu machen sowie noch mehr Daten zu sammeln.

Schlussfolgerung: Was muss getan werden?

Die Ergebnisse dieses TJN-Berichts stellen die Behauptungen der G20-Regierungschefs, die im unmittelbaren Anschluss an die Finanzkrise im Jahr 2009 erklärten, die Zeit der Bankgeheimnisse ist vorüber, in Frage. Dieser Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, dass die Politik einen ersten ernsthaften Schritt tut, um dem Wachstum der weltweiten Steuerparadiesindustrie Einhalt zu gebieten.

Die Liste der Maßnahmen, die sofort umgesetzt werden müssen, ist lang.

Hierzu zählen die schnelle Einführung von automatischen und multilateralen Informationsaustauschsystemen zwischen den Steuerbehörden, eine länderspezifische Unternehmensberichterstattung und das Einrichten von öffentlichen Registern, um die letztlich warmblütigen Nutznießer in Menschengestalt von Unternehmen, Treuhandgesellschaften und Stiftungen sowie ähnlichen Konstrukten erfassen zu können.

Dieser neue Bericht unterstreicht außerdem, dass die Grenze zwischen „Offshore“- und „Onshore“-Steuerhinterziehung mittlerweile verblasst ist, was auf den Bedeutungsgewinn von auf Geheimhaltung beruhenden Gerichtsbarkeiten, wie Delaware und Nevada sowie der City of London, neben traditionellen Finanzplätzen wie der Schweiz, Liechtenstein, Singapur und den Bahamas zurückzuführen ist. Den auf Geheimhaltung beruhenden Gerichtsbarkeiten muss auf beiden Seiten dieser Grenze aggressiv begegnet werden.

Schließlich müssen die verantwortlichen Politiker angesichts der führenden Rolle, die von den wichtigsten Banken, Anwaltskanzleien und Steuerberatungsfirmen gespielt wird, wenn es darum geht, diese zweifelhaften Geschäftstätigkeiten zu ermöglichen, deutlich strengere Compliance-Kulturen und Strafen für die Fachleute in Nadelstreifen und die führenden Finanzinstitute einführen, die die Förderung der Kriminalität weltweit als eine legitime Gewinnquelle betrachten.
* UBS, Credit Suisse, Goldman Sachs, Bank of America, HSBC, Deutsche Bank, BNP Paribas, Wells Fargo, Morgan Stanley / SB, JP Morgan Chase.