Apple: Aufstand gegen das Steuerdiktat der USA

Dieser Gastbeitrag von mir erschien gestern bei Zeit Online und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Zeit-Online Redaktion reproduziert.

Apple: Aufstand gegen das Steuerdiktat der USA

EU-Kommissarin Vestager kämpft im Fall Apple gegen starke Interessen. Läuft es gut, könnte daraus ein neues, transparentes internationales Steuersystem entstehen.

Dass die Reaktionen auf die EU-Entscheidung, Apple zu einer Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro plus Zinsen zu verdonnern, von unterschiedlichen Seiten so harsch ausfielen, zeigt vor allem eines: Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager traut sich, starke Interessen anzugreifen. Und sie liegt damit genau richtig. 

Apple-Chef Tim Cook nennt die Entscheidung der EU-Kommissarin "totalen politischen Mist". Irland will dagegen klagen. Der bayerische Finanzminister Markus Söder findet die Nachforderungen "überzogen". In den USA haben sich hochrangige Politiker der Demokraten und Republikaner hinter Apple gestellt. Ebenso das Finanzministerium, das schon vor Vestagers Pressekonferenz am vergangenen Dienstag in einem Whitepaper mit Konsequenzen drohte, sollte die EU-Kommission ihre Beihilfeverfahren weiterführen wie bisher. Ganz offensichtlich trifft Vestager mit ihren Steuernachforderungen einen wunden Punkt. 

Dabei untersucht die EU-Kommission nicht nur den Fall von Apple in Irland. Ein kleiner Rückblick: Die EU-Kommission hatte schon Beihilfeverfahren wegen Steuernachforderungen eröffnet, bevor das Thema durch die Luxemburg-Leaks im November 2014 in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. In den ersten Verfahren ging es um Steuerabsprachen von Fiat in Luxemburg, Starbucks in den Niederlanden – und Apple in Irland. Im Oktober 2015 wurden die Fälle gegen Luxemburg und die Niederlande entschieden, die betroffenen Unternehmen mussten jeweils 20 bis 30 Millionen Euro nachzahlen.
In diesem Herbst wird noch ein Entscheid gegen Amazon erwartet, der ähnlich hoch ausfallen könnte wie der gegen Apple. Ein Fall gegen McDonalds in Luxemburg ist noch anhängig, und Dutzende neue Fälle dürften in Kürze von der EU-Kommission eröffnet werden. 

Im Kern geht es in den Verfahren um den Schutz des fairen Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt. Denn auch wenn die Steuerpolitik eine Angelegenheit der nationalen Souveränität ist, findet die Freiheit der Staaten, nach eigenem Gutdünken Steuern zu erheben, ihre Beschränkung im gemeinsamen Markt. Sobald sich Staaten durch selektive und willkürliche Steuergeschenke in die Souveränität anderer Staaten einmischen und gültige Rechtsgrundsätze brechen, muss die EU-Kommission als Hüterin des fairen Wettbewerbs einschreiten. 

Eine Firma ohne Mitarbeiter, Räume und Maschinen

Die zweite Einschränkung der Freiheit, Steuergeschenke zu verteilen, besteht in den OECD-Steuerregeln, die in allen EU-Staaten Eingang in das nationale Steuerrecht gefunden haben. Demnach müssen die Preise, die Töchter eines Konzerns einander für Waren und Dienstleistungen in Rechnung stellen, so ausgestaltet werden, als wären sie voneinander unabhängige Marktteilnehmer. Wertschöpfung darf steuerlich nur dort berücksichtigt werden, wo tatsächliche Risiken getragen und Funktionen erfüllt werden. 

Genau gegen diese beiden Rechtsnormen aber verstießen die von Apple genutzten Steuerkonstrukte und -absprachen mit dem irischen Fiskus. Eine Apple-Tochter in Irland, die Verkaufserlöse aus mindestens drei Kontinenten sammelte, wies die Gewinne intern einer Hauptgeschäftsstelle zu, die nur auf dem Papier existiert: Sie hat keine Mitarbeiter, keine Geschäftsräume und keine Maschinen. Darüber hinaus hat sie den zweifelhaften Vorteil, nirgendwo auf der Welt steuerpflichtig zu sein – eine Gesellschaft im Steuernirwana. 

Nur eine Niederlassung dieser Apple-Tochter verzeichnete eine wirtschaftliche Aktivität. Doch ausgerechnet sie wies nur einen Bruchteil der vielen Milliarden Gewinn aus. Auf diesen winzigen Anteil zahlte sie die reguläre irische Steuer. 

Zwischen 2009 und 2011 allein blieben so 30 Milliarden US-Dollar steuerfrei. Weil Apple das Modell selbst nach einem Untersuchungsbericht eines US-Senatsausschusses 2014 beibehielt und noch höhere unbesteuerte Gewinne erwirtschaftete, sank die Gesamtsteuerquote der irischen Apple-Tochter von 0,05 Prozent auf 0,005 Prozent in 2014. 

Auch wenn Tim Cook sagt, die Zahl sei aus der Luft gegriffen – die Behauptung des Apple-Chefs, sein Konzern zahle konzernweit 26 Prozent Steuern auf seine Gewinne, ist irreführend. Denn Cook berücksichtigt die bilanzierten Steuern, die deutlich höher ausfallen als die tatsächlich bezahlten. Laut US-Recht nämlich muss der Konzern nur auf den Teil seiner international erzielten Profite Steuern zahlen, die in die Heimat rücküberwiesen werden –  und das ist der kleinste Teil. Weil Apple bisher kaum Gewinne in die USA rücküberweist, liegt die Steuerquote Apples konzernweit eher bei 18 Prozent. 

EU-Richtlinie für öffentliche länderspezifische Konzernbilanzen geplant

Margrethe Vestager agiert geschickt. Mehrfach hat die EU-Kommissarin unterstrichen, dass die von ihr geforderten 13 Milliarden nicht alleine an den irischen Fiskus fließen müssten. In der irischen Apple-Tochter werden Verkaufserlöse aus der gesamten EU, Afrika, dem Mittleren Osten und Indien verbucht. Deshalb können auch Staaten dieser Regionen steuerliche Ansprüche anmelden. Vestager bot ihnen sogar an, die Ergebnisse ihrer Untersuchung zur Unterstützung zur Verfügung zu stellen.
In den meisten der betroffenen Länder sind die Unternehmenssteuersätze höher als in Irland. Deshalb könnten aus den 13 Milliarden Euro schnell noch mehr werden. 

Auch die USA erwähnte Vestager ausdrücklich als Land, das mehr Steuern von Apple eintreiben könnte, wenn der Fiskus es nur versuchte. Täte er es, würde sich die Summe, die Irland zustünde, ebenfalls reduzieren. Somit hat die Kommissarin en passant den Vorwurf aus dem Whitepaper entkräftet, das Beihilfeverfahren der EU würde den öffentlichen Kassen der USA schaden. Vielmehr unterstreicht sie: Ihr dürft Apples Gewinne gerne stärker besteuern – aber wenn ihr nicht wollt, dann greifen eben wir zu, denn dass so hohe Profite steuerfrei verdient werden können, das ist weder ethisch noch rechtlich vertretbar. 

Weniger Einfluss für die US-Regierung

Die Reaktionen aus den USA dürften auch deshalb so scharf ausfallen, weil Vestager damit eine unsichtbare Grenze überschreitet. Es war ausgemacht, dass Europa sich in internationalen Steuerfragen strikt allein im OECD-Rahmen bewegen würde. Die OECD hatte 2012 ein Projekt gestartet, um das internationale Verschieben von Gewinnen zu verhindern. Damit meldete sie einen Monopolanspruch auf die politischen Initiativen zur Eindämmung von Steuervermeidung an. Nur hatten die USA das Projekt vorab leider in ihrem Interesse – und dem ihrer Konzerne – zurechtgestutzt. Deshalb standen Steuerabsprachen, die internationale Verteilung der Gewinne und staatliche Beihilfen gar nicht auf der Agenda.

Mit der Entscheidung der EU-Kommission widersetzt sich Europa nun erstmals offen dem Steuerdiktat aus Washington. Obendrein arbeitet die EU-Kommission an einer Richtlinie für öffentliche länderspezifische Konzernbilanzen, die Missbrauch vorbeugen und aggressive Steuervermeider ans Licht der Öffentlichkeit zerren würden. Genau das wollen die USA aber vermeiden, denn sie könnten dadurch ihren Einfluss auf die Debatte verlieren. 

Mehr Transparenz aber, wie die EU sie jetzt anstrebt, könnte der Eckpfeiler einer wirksamen, neuen internationalen Steuerarchitektur unter dem Dach der Vereinten Nationen werden. Im Moment ist eine evidenzbasierte Debatte über die internationale Steuerpolitik nur schwer zu führen. Der Apple-Fall illustriert das gut. Sind aber länderspezifische, weltweite Konzernbilanzen vorhanden, kann viel robuster erforscht werden, welche Wirkung ein Übergang zu einer Gesamtkonzernsteuer für einzelne Länder hätte. Diese Steuer würde Gewinne anhand wirtschaftlicher Eckdaten des Gesamtkonzerns den jeweiligen Ländern zuweisen und könnte das gegenwärtige, missbrauchs- und unterbietungsanfällige System aus den 1930er Jahren ersetzen. Womöglich ist die Aufregung über Apple dafür jetzt ein Auftakt.

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